Changemakers‘ Stories
Elmar Sautter von disana: „Die Naturtextiler sind schon eine super Bande.“
Erfahrung schützt vor Überraschungen nicht: Seit 38 Jahren strickt, näht, fertigt disana in der eigenen Produktion. Auch nach den Jahrzehnten im fairen umweltfreundlichen Textilbusiness passieren Dinge, die es vorher noch nie gab.
Gründer Elmar Sautter über nächtliches Ringen um Garn, eine geflüchtete Auszubildende und neue Kreativität.
Wie hat sich COVID-19 auf eure Arbeitsweise ausgewirkt?
Wir sind in der Produktion fast siebzig Mitarbeiter, da schien es nur eine Frage der Zeit, bis sich jemand mit Corona infizieren und die Kollegen anstecken würde. Große Strickmaschinen, Zuschneideanlagen und Nähmaschinen können nicht im Home-Office bedient werden. Wir mussten also im Haus Maßnahmen ergreifen, damit die Kollegen sich gut aus dem Weg gehen konnten.
Zum Glück bietet unsere Produktionshalle viel Platz, sodass die Arbeitsplätze großzügig ausgelegt sind. Jeder Mitarbeiter hat an seinem Platz mindestens zehn Quadratmeter für sich.
Die Flure und Wege zwischen den Maschinen laufen jetzt als Einbahnstraßen. Wer seinen Arbeitsplatz verlässt oder sich mit einem Kollegen besprechen muss, trägt Maske, und überall hängen Spender mit Desinfektionsmitteln. Versehentlich hatten wir im Februar noch einen halben Lastwagen Toilettenpapier bestellt, das stellt also auch kein Problem dar.
Als sich tatsächlich eine Mitarbeiterin außerhalb ihres Jobs angesteckt hatte, wollte ich die ganze Abteilung in Quarantäne schicken. Die Teams haben sich aber geweigert. Sogar die Kollegin, die der positiv getesteten Tischnachbarin am nächsten gesessen hatte, zeigte auf den Abstand zwischen den beiden Arbeitsplätzen und meinte nur: „Wie soll ich mich da anstecken?“. Es gab keine weiteren Infektionsfälle.
Unsere Lieferanten und Dienstleister hatten super vorgesorgt und so kam es bei uns zu keinen nennenswerten Lieferengpässen und Produktionsausfällen. Vielleicht kam mal ein Garn eine Woche später als geplant. Aber viel mehr kam nicht auf, obwohl wir nicht hatten ahnen können, dass ausgerechnet die Grenze zwischen Bregenz und Lindau – die wir besonders intensiv nutzen – mal zu einem Problem für den Warenfluss werden könnte.
Wir haben großes Glück gehabt und wenn das nun die Krise war, sind wir recht unbeschadet da durchgekommen.
Achtung Nebenwirkungen: Lang gehegte Ideen werden Realität
Während des Shutdowns hatten wir eine ungewöhnlich kreative Zeit. Wir hatten vor Corona etliche Projekte geplant, und irgendwie stieg nun seit der Pandemie der Ehrgeiz, unseren Kunden nach den Komplikationen etwas Neues zu präsentieren. Ein Beispiel ist unser Frühjahr/ Sommer-Programm. Das war mittlerweile ein Running Gag unter unseren Kunden, da wir es schon ein paar Mal angekündigt und dann doch keine Zeit gefunden hatten. Diesen Sommer werden wir es tatsächlich präsentieren können, auch auf den INNATEX.
Oder unser Bio-Recycling-Filz, für den wir Schnittabfällen aus unserer Produktion verwenden. Das wollten wir unbedingt machen und haben gerade über vier Tonnen Schnittreste in die Filzproduktion gegeben. Das kostet uns mehrere zehntausend Euro, und wir haben noch keine Ahnung, was wir daraus machen. Da wird uns schon noch was einfallen.
Nächtliche Telefonate, um Garn über die Grenze zu bekommen
Mit anderen Produzenten-Firmen war der Austausch eher gering. Jeder musste selbst erstmal schauen, wie er Produktion und Corona-Auflagen unter einen Hut bekommt. Von manchen Kollegen haben wir über Dritte erfahren, dass sie gar nicht arbeiten, weil beispielsweise Rohstoffe fehlen oder Aufträge weggebrochen sind. Darüber redet man natürlich nicht gerne. Vielleicht lag auch darin der Grund für die Zurückhaltung in der Kommunikation.
Dafür waren der Zusammenhalt und der Austausch mit den Lieferanten und Kunden umso intensiver. Mit manchen habe ich nachts um halb drei telefoniert, um am nächsten Tag doch noch einen LKW mit Garn über die Grenze zu bekommen. Viele Lieferanten waren froh, dass wir zu unseren Aufträgen stehen konnten und die Ware wie vereinbart abgenommen und bezahlt haben. Das gab den Partnern in der Lieferkette Sicherheit. Da war der Austausch intensiv. Da war auch Seelenmassage dabei.
Unsere Kunden sind eh die Besten. Manche haben angerufen, nur um zu versichern, dass sie die bestellte Ware für Herbst/Winter auf jeden Fall abnehmen werden. Einige haben sogar angeboten, die Lieferung und Bezahlung vorzuziehen, damit wir flüssig bleiben. Die Naturtextiler sind schon eine super Bande, das muss ich hier mal sagen.
Gab es in eurer Unternehmensgeschichte bereits vergleichbare Herausforderungen?
Herausforderungen, Probleme, Nöte – davon gab es in den bald vierzig Jahren disana eine Menge. Aber jede Situation war anders. Es gab Zeiten, da hätten wir den Kitt aus den Fenstern gefressen, wenn nur noch welcher da gewesen wäre. Wir haben während der Pandemie bisher großes Glück gehabt. Wenn nicht noch weitere Infektionswellen auf uns zukommen, dann hat der liebe Gott es gut mit uns gemeint.
Auszubildende aus Nordirak sagt: „Danke“
Bei uns arbeitet eine junge Frau aus dem Nordirak als Auszubildende. Sie war in der letzten Maschine aus Mosul rausgekommen, bevor die Stadt völlig vom IS überrannt wurde. Ich glaube, sie hat in ihrem jungen Leben Dinge gesehen, die wir uns nicht vorstellen wollen. Jetzt lernt sie Modeschneiderin. Nachdem ich allen Mitarbeitern die Corona-Sicherheitsvorschriften im Betrieb erklärt, Desinfektionsmittel und Masken verteilt hatte, kam sie auf mich zu und meinte: „Danke, dass du auf mich aufpasst.“ Das hat mich berührt. Es hat mir Mut gemacht und meine Verantwortung, für unsere Mitarbeiter alles zu geben und, ja, auf sie wie auf mich aufzupassen, verdeutlicht.
Was wünschst Du Dir, wie wir alle aus der Pandemie hervorgehen?
Die Corona-Krise zeigt, wie verletzlich unsere Welt ist. Wie schnell unser auf wirtschaftlichem Erfolg basierendes, weltweites Wirtschafts- und Sozialsystem aus den Angeln geraten kann. Das betrifft auch und gerade das System der Textilindustrie.
Ich würde mich freuen, wenn wir aus der Pandemie mit einer Erkenntnis hervorgehen: Je schneller wir das wirtschaftliche Rad drehen, desto mehr Raubbau betreiben wir an unserem Planeten, desto anfälliger werden wir für Störungen.
Wir hatten nun die Gelegenheit zu sehen, wie es ist, wenn man dem Himmel wieder ohne die Kondensstreifen der Flugzeuge sehen kann. Vielleicht kommt ja einer drauf, dass es einfach nur sportlich ist, für fünfzehn Euro nach Malle und zurück zu fliegen.